Stile

Obwohl alles Aikido auf Morihei Ueshiba O-Sensei (1883-1969) zurückgeht, haben sich dennoch verschiedene Stile und Schulen (jap. Ryu) gebildet. Die Gründe hierfür liegen im Unterschied der persönlichen Absichten seiner direkten Schüler und der Epochen und Dauer ihrer Lehrzeit. Weltweit haben sich im Aikido vier Hauptrichtungen durchsetzen können, die hier mit einem Porträt ihrer Gründer, einer Charakteristik ihrer Stile und ihre Spitznamen vorgestellt werden.

Hombu-Dojo, Aikikai

Kishomaru Ueshiba (1921-1999), der Sohn des Begründers, hatte Aikido im Wesentlichen von 1936 bis 1942 bei seinem Vater studiert und gründete 1948 den Aikikai mit seiner Haupttrainingsstätte, dem Hombu-Dojo in Tokyo. Nach dem Tod seines Vaters nahm er den Titel „Doshu“ (Meister des Weges) an.
Aikido war für ihn, einen sehr feinen und hoch gebildeten Mann, vor allem ein Mittel zur Persönlichkeitsentwicklung, weniger zur Selbstverteidigung. Das Aikido seines Vaters empfand er als zu hart und modifizierte deshalb die Techniken mit sanfteren Bewegungen.
Kisshomaru Doshus herausragende Leistung ist die weltweite Verbreitung des Aikido. In den meisten Ländern wurde Aikido durch seine Abgesandten eingeführt, sein Stil ist deshalb auch fast überall quantitativ die Nummer eins und wird heute sogar schon von vielen für das klassische Aikido seines Vaters gehalten.

„Hombu Style“ oder „Tokyo Style“ sind keine organisatorischen Begriffe, sondern eine technische Beschreibung. Es gibt sowohl Lehrer innerhalb des Aikikai, die einen anderen Stil praktizieren, als auch Gruppierungen, die rechtlich nichts mit dem Hombu-Dojo zu tun haben, aber sehr ähnlich trainieren.

Da bei diesem Stil der Schwerpunkt nicht in der Kampftauglichkeit liegt, lassen sich die Techniken häufig nur noch mit einem kooperierenden Trainingspartner ausführen. Diese Choreografie führte zum Spitznamen „Dancing Style“.

Sein Sohn Moriteru Ueshiba, geboren 1951, wurde nach dem Tod von Kisshomaru Ueshiba der Nachfolger als „Doshu“.

Hombu-Dojo, Yoshinkai

Gozo Shioda (1915-1994) war einer der bedeutendsten aller Aikido-Meister, was sowohl an seinem überragenden Können als auch an seiner charismatischen Persönlichkeit lag. Er hatte acht Jahre, von 1932 bis 1941, bei O-Sensei studiert und gründete 1955 den Yoshinkai. Der Name seiner Schule, Verband (kai) zur Kultivierung (yo) des Geistes (shin), weist zwar nur auf seine spirituellen und ethischen Ziele hin, aber das authentische Vorkriegs-Aikido des Yoshinkai ist auch hartes Budo, bei dem auf physische Robustheit der Ausübenden und praktische Wirksamkeit der Techniken Wert gelegt wird. Shioda Kancho bewies seine Fähigkeiten in echten Kämpfen, die für seine Gegner furchtbar ausgingen und konnte durch überzeugende Demonstrationen Yoshin-Aikido bei mehreren japanischen Sicherheitstruppen und -diensten einführen. Die Polizei von Tokyo z.B. sendet jedes Jahr eine Auswahl ihrer besten Nahkämpfer zu einer einjährigen Spezialausbildung in das „Yoshinkan“ Haupt-Dojo.

Im Vergleich zum Nachkriegs-Aikido ist Yoshin-Ryu angespannter, die Bewegungen im Anfängerunterricht wirken daher manchmal etwas steif und marionettenhaft – und da in Japan „Pinocchio“ als Synonym für Puppen gebraucht wird, entwickelte sich der Spitzname „Pinocchio Style“.

Ki No Kenkyukai, Shinshin Toitsu

Koichi Tohei (1920-2011) studierte hauptsächlich von 1939 bis 1942 bei O-Sensei. Auf Grund seines enormen Talents gehörte er rasch zu den Top-Favoriten des Begründers. Um Aikido zu verbreiten, kämpfte Tohei Sensei nach dem Krieg mehrfach gegen Meister anderer Kampfkünste, sogar gegen drei, fünf oder sieben gleichzeitig – und gewann immer. Viele seiner damaligen Gegner wurden anschliessend seine Schüler.Nach O-Senseis Tod entfernte er sich jedoch vom traditionellen Aikido. Statt dessen entwickelte Tohei Sensei Übungen zur Stärkung der Lebensenergie und unterrichtete sie in der 1971 von ihm gegründeten Ki Research SociDas Training in Ki-Gesellschaften basiert dabei auf den von Tohei Sensei propagierten vier Prinzipien der Einheit von Körper und Geist: Einen Punkt im Hara halten, völlig entspannt sein, das Gewicht tief halten und sein Ki ausdehnen.
ety (jap. ki no kenkyukai). Seit 1974 integrierte er dann auch sehr weich fliessende Aikido-Techniken in seine Schule und verbreitete beides als Shinshin Toitsu Aikido: Aikido in Einheit von Körper und Geist.
Die Ki Society hat sich von der Überlieferung des Aikido-Gründers sehr weit entfernt, was äusserlich in ihren Dojos dadurch repräsentiert wird, dass sich kein Bild von O-Sensei am Kamiza (Ehrenplatz) befindet.
Nach einem Unfall mit einer Wirbelsäulenverletzung konnte Tohei-Sensei nicht mehr die im Aikido typischen horizontalen Hüftrotationen ausfühhren und ersetzte sie durch vertikale Bewegungen.
Das daraus resultierende Hüpfen bescherte dem Ki-Aikido den Spitznamen „Kangaroo Style“.

Iwama Ryu

Iwama gilt als Geburtsort des modernen Aikido. Einer Inspiration folgend zog O-Sensei 1942 hierher und baute sein Haus, sein Dojo und den Aiki-Jinja, einen Schrein als Kraftzentrum (Egregore) des Aikido.
O-Sensei hat immer wieder betont, dass er hier sein wahres Budo geschaffen hat und nannte es Takemusu Aikido: „take“ bedeutet Krieger, musu“ gebären oder erschaffen. Übertragend meint es soviel wie „Erleuchtung durch Aikido“.
Zu seinem Nachfolger in Iwama designierte O-Sensei seinen Hausschüler (uchi-deshi), der weit länger als jeder ander, von 1946 bis zum Tode des Gründers 1969 bei ihm lebte: Morihiro Saito (1928-2002).
Dieser legte äussersten Wert auf die exakte Bewahrung von O-Senseis Techniken und sein Training galt als die reinste Überlieferung des Nachkriegsstils des Gründers. 1989 gründete Saito Soke einen eigenen Verband mit dem Namen „Iwama Ryu“, um die unverfälschte Tradierung sicherzustellen.
Aufbauend auf Ansätzen, die O-Sensei schon entwickelt hatte, perfektionierte er dazu eine geniale Didaktik. Takemusu Aikido ist gekennzeichnet durch die gleichberechtigte Kombination und gegenseitige Beeinflussung des waffenlosen Trainings mit den Aiki-Ken und Aiki-Jo Waffen-Techniken. Die Überragende Kampftauglichkeit des „Iwama-Ryu“ zeigte sich in einem umfassenden Vergleichstest der Londoner Polizei mit verschiedenen Kampfsportarten: Takemusu Aikido, vertreten durch eine Frau, ging dabei als Sieger hervor.

Für das Iwama-Ryu Aikido ist eine Position typisch, bei der beide Arme mit der Kleinfingerseite aussen nach vorne gestreckt werden. Spötter erinnerte dies an eine Krabbe mit ihren Scherenarmen und prägten so den Spitznamen „Crab-Style“